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Hubert Wittl berichtet ... Interview mit Hubert Wittl ...

Im Rahmen einer kleinen Feierstunde wurde am 16. April Hubert Wittl in den Ruhestand verabschiedet.

Der langjährige Geschäftsführer der Stiftung Haus Pius blickte in einem Gespräch zurück auf die vergangenen Jahre, die für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, so auch für das Zehlendorfer Heim, manche Herausforderung mit sich brachten.

Herr Wittl, verraten Sie uns doch bitte, wie Sie in den Kinder- und Jugendhilfebereich gekommen sind. Verlief Ihr Berufsweg gradlinig oder gab es bisweilen Neuorientierungen?
Ich bin ein ausgesprochener Quereinsteiger, denn ursprünglich habe ich in der Industrie als Textilkaufmann gearbeitet. Nach rund zehn Jahren wurde mir dann aber klar, dass es im Leben nicht nur darum gehen sollte, Umsätze zu machen und Gewinne zu erzielen. Es musste da noch ein „Mehr“ geben und dieses „Mehr“ war für mich das Soziale, die Freie Wohlfahrtspflege. Ich habe mir dann aus dem Telefonbuch Adressen besorgt und mich mit - heute würde man sagen – Initiativbewerbungen bei den verschiedenen Trägern angeboten. Und womit ich eigentlich gar nicht gerechnet hatte: Bereits nach einer Woche meldete sich der Berliner Caritasverband bei mir, man wollte mich haben, wir wurden uns rasch einig und so wurde ich Mitarbeiter der Geschäftsführung der Caritas-Altenhilfe, gemeinnützige GmbH. Übrigens: Bei der Abschiedsfeier an meinem letzten Arbeitstag in der alten Textilfirma war der Chef nur kurz anwesend, weil er zum Amtsgericht musste, um Konkurs anzumelden…

War es für Sie ein Vorteil, in der Freien Wohlfahrtspflege auf Erfahrungen aus dem Geschäftsleben, der Wirtschaft und des Marktes zurückgreifen zu können?
Auf jeden Fall. Ich habe ja hier mein ganzes kaufmännisches Wissen und die wirtschaftliche Grundeinstellung mitgebracht und konnte dies hervorragend in die soziale Arbeit einbringen.

Trotzdem war die neue Stelle gewiss eine große Umstellung. Gab es denn Einführungen, Kurse oder Ähnliches oder nur den berühmten Sprung ins kalte Wasser?
Gerhard Trampenau, der damalige Geschäftsführer der Caritas-Altenhilfe, wurde zwar so etwas wie mein Mentor, aber meine erste große Aufgabe bestand gleich zu Beginn darin, das soeben fertiggestellte Kardinal-Bengsch-Seniorenzentrum in Betrieb zu nehmen. Da habe ich aber auch sehr früh meine Grenzen erkannt: Wie betreibt man denn eigentlich ein solch großes Seniorenwohnhaus im Sozialen Wohnungsbau, welche Bauverordnungen sind zu beachten, wie ist das mit dem Mietrecht? Heimbeiräte mussten gegründet und einberufen werden. Von solchen Dingen hatte ich bislang nichts gehört, das musste ich nachlernen. Dieses neue Heim war übrigens auch nur eine der vielen Einrichtungen, die wir verwaltet haben.

Verzeihen Sie, aber das klingt fast so trocken wie Textilkaufmann.
Nun ja, meine Aufgabe war immer in der zentralen Verwaltung. Es ist nie mein Job gewesen, den Leuten die Hände zu halten. Ich habe zwar ein Gespür für das Soziale, aber ich bin kein Sozialarbeiter und bin so auch nie ganz dicht an den Klienten dran gewesen. Ich habe für die Voraussetzungen der sozialen Arbeit - Wohnung, Heim und Pflege - gesorgt. Kaufmännisch, rechtlich, das ganze Vertragswesen, die Berechnung der Betriebskosten: alles muss stimmen. Gewiss gehört auch Fingerspitzengefühl dazu, mit 150 Senioren in einem Haus Kontakt zu halten, ebenso mit den Ordensschwestern und dem übrigen Personal.

Haben Sie sich in der neuen Aufgabe denn wohl gefühlt? Oder haben Sie die Entscheidung, in den sozialen Bereich zu wechseln, doch ein wenig bereut?
Es war genau das Richtige, das, was ich gesucht hatte. Ich habe in den Heimen immer sehen können, für wen ich die Verwaltungsarbeit leiste. Es waren übrigens nicht nur Altenheime und Tagungshäuser, wie das Dr. Margarete-Sommer-Haus in Wannsee, ich habe auch für die CFJ (Caritas Familien- und Jugendhilfe GGmbH) und ihre Kinderheime und Kitas gearbeitet. Auch hier mussten Kosten berechnet werden, etwa die gestaffelten Elternbeiträge nach dem „Kitakostenbeitragsgesetz“, welch schönes Wort. Wenn man so will, habe ich für alle Lebensphasen Kontakt mit den Organisationsstrukturen gehalten.

Die Gäste ... Wann kam denn eigentlich die Stiftung Haus Pius ins Spiel?
Auch gleich zu Beginn meiner Arbeit Anfang der 80er Jahre, parallel zu den anderen Aufgaben also. Man übergab mir einige Aktenordner und es hieß „Also das hier ist die Stiftung, kümmern sie sich mal darum!“ Ich wusste gar nicht, was es damit auf sich hatte. Der Öffentlichkeitsreferent der Caritas, der sie bislang mit betreut hatte, war sichtlich froh, diese ungeliebte Bürde los zu werden. Die Stiftung befand sich zudem in einer Umbruchphase. Don Luigi Fraccari, der Gründer, war 1979 in seine italienische Heimat zurückgekehrt, das Haus war entmietet und leer. Bei meinem ersten Besuch erschien mir alles ziemlich dunkel, die Bausubstanz war nicht mehr die Beste. Das Haus wurde dann 1980/81 mit Mitteln der Klassenlotterie renoviert, modernisiert, ja eigentlich komplett umgebaut inklusive Dacherneuerung, einer Reihe von substanzerhaltenden Maßnahmen, neuer Heizung und anderem Zimmerschnitt. Es bot nun entsprechenden Platz für eine Verselbständigungsgruppe mit maximal acht Plätzen aus dem Don Bosco Heim Berlin. Dafür wurden auch zwei Erzieher aus dem Don Bosco Heim „ausgeliehen“ und sukzessiv folgten die ersten Jugendlichen. 1982 zog eine Kontaktfamilie, die nach der inzwischen entwickelten Konzeption als Regulativ für die dort lebenden Jugendlichen fungieren sollte, in das zur Stiftung gehörende Haus Giovanni.

Welche Erinnerungen haben Sie an diese Wiedereröffnungsphase der Stiftung?
Es waren durchaus unruhige Zeiten. Wir hatten allein mit zwei Brandfällen zu tun. Noch in der Renovierungs- und Umbauphase implodierte ein Fernseher und kurz nach dem Einzug der ersten Jugendlichen entstand bei einem Zimmerbrand, der durch eine versehentlich umgestürzte Kerze entstanden war, großer Sachschaden. Das war ein herber Rückschlag. Ein Brandsanierer entschied damals, dass das ganze gerade erst renovierte Haus erneut komplett renoviert werden musste. Nicht nur dadurch bin ich geradezu zu einem Versicherungsexperten geworden.

Wer selbst einmal gebaut oder größere Renovierungsmaßnahmen bei einer Immobilie vorgenommen hat, weiß, wie zeitintensiv und detailgenau Kontakte mit Baubehörden, Architekten, Unternehmern und Handwerkern sein können und sein müssen. Zur Erinnerung: Sie waren quasi „nebenbei“ Stiftungsmanager. Sie konnten darüber hinaus auch nicht dauernd vor Ort sein, um den ordnungsgemäßen Fortgang der Arbeiten zu sichern.
Das stimmt. Meine Dienst- und die Postadresse der Stiftung war im Caritashaus in der Tübinger Straße. Das änderte sich erst, als ich nach Stationen beim Caritasverband und der Caritas-Krankenhilfe zunächst mit einer halben Stelle und dann mit ganzem Engagement für die Stiftung tätig sein konnte. Was ich auf den unterschiedlichen beruflichen Stationen gelernt hatte, konnte ich voll in die Stiftungsarbeit einbringen. So habe ich im Zuge der Wende die gesamte arbeits- und tarifrechtliche Eingliederung der Caritas-Mitarbeiter Ost in die West-Struktur vorgenommen. Bistumsweit waren das in den Häusern und Einrichtungen von Ahlbeck bis Zinnowitz immerhin rund 1700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Personalarbeit war für mich erneut ein Sprung ins kalte Wasser, denn der eigentlich dafür zuständige Abteilungsleiter fiel krankheitsbedingt ausgerechnet in diesem Zeitabschnitt für ein halbes Jahr aus.
Bei der Caritas-Krankenhilfe, der Betriebsorganisation für die Berliner Krankenhäuser, habe ich dann wichtige Lektionen in Controlling und Leistungserfassung lernen können. Besonders dieser Blick für die Finanzen hat mir dann bei der Stiftung sehr geholfen.

Gab es besondere Gründe, die einen Wechsel von einer quasi nebenamtlichen Tätigkeit für die Stiftung zu einer mit ganzem Einsatz für die Belange der stationären Kinder- und Jugendhilfe werden ließ?
Der vollständige Wechsel zur Stiftung war notwendig geworden, weil es nach einer Reihe von Jahren eine gewisse Stagnation in der Heimerziehung gab. Obwohl im pädagogischen und wirtschaftlichen Bereich gute Arbeit geleistet worden war, konnte man von einer Krise sprechen. Die Belegzahlen gingen zurück, die Konzeption hatte sich einfach überlebt. Es drohte sogar eine Schließung. Bei einer Visitation der Senatsverwaltung – ja, so etwas gab es damals noch, heute hat niemand dafür mehr Zeit – riet man uns, sich etwas Neues einfallen zu lassen und machte auch gleich drei Vorschläge. Unter Berücksichtigung dieser Senatsvorschläge wurde eine neue Konzeption entwickelt, die eine Wohngruppe mit innewohnendem Erzieher vorsah. Wenig später versuchten wir, auch bei der ambulanten Jugendarbeit einzusteigen. Ein solcher Neubeginn erwies sich aber als Einsatz auf ausgesprochen schwierigem Terrain, weil hier unter den langjährig arbeitenden Institutionen die Felder bereits verteilt waren und wir mit unseren Vorstellungen überhaupt nicht zum Durchbruch kamen. Für neue Träger gab es hier einfach keinen Platz mehr.

Nun gab es ja nochmals eine Schwerpunktverlagerung in der pädagogischen Arbeit.
Unser Angebot ist nochmals differenzierter geworden: So bieten wir in einer Familienwohngruppe mit einer im Haus innewohnenden Pädagogenfamilie koedukativ Kindern und Jugendlichen bis 16 Jahre ein Zuhause, wir haben für Jugendliche ab 16 Jahre eine Wohngemeinschaft sowie das betreute Einzelwohnen und seit 2007 Plätze für Kleinkinder nach Inobhutnahme.

Wie sehen Sie das Verhältnis von Pädagogik und Verwaltungsarbeit, welches Rollenverständnis hat Ihre Arbeit geprägt?
Mein Bestreben war es immer, Schaden von der Einrichtung fernzuhalten, verantwortlich und sparsam zu wirtschaften und freie Mittel wieder in Grundstück und Häuser einzubringen, hier die Qualität zu verbessern und zu investieren, so dass satzungsgemäße Projekte realisiert werden konnten. Nicht zuletzt ging es darum, durch gute Arbeit die Eigen- und Selbständigkeit der Stiftung auch gegen manche durchaus begehrliche Blicke zu erhalten.

Gab es Situationen, in denen die Selbständigkeit in Gefahr war?
Wenn wir, wie es bei anderen Häusern geschehen ist, in eine Schieflage geraten wären, hätte sich alles gewiss anders entwickelt. Eine andere Betreibergesellschaft hätte einen Geschäftsbesorgungsvertrag beschlossen, der zwar den Bestand der Stiftung nicht angetastet, aber den Betrieb mit externen Kräften organisiert und durchgeführt hätte.

Sie haben in Ihrem Berufsleben die verschiedensten Facetten der Freien Wohlfahrtspflege kennengelernt und für Kollegen und Mitarbeiter, Senioren, Kranke und Jugendliche gearbeitet. Was hat Ihnen die Arbeit mit den Jugendlichen bedeutet?
Die Arbeit in der Jugendhilfe ist für mich immer ein positiver Wert gewesen. Mit den Erzieherinnen und Erziehern dafür zu sorgen, dass die jungen Menschen ein Heim vorfinden, ein Zimmer, eine Wohnung, ein Haus und ihnen auch ein Umfeld zu ermöglichen, an das sie sich in ihrem späteren Leben erinnern können wie an ein Elternhaus: So schön kann wohnen sein in einer sauberen und strukturierten Umgebung. Sie sollen eine bleibende positive Erinnerung an uns haben. Dabei ist das Engagement der Erzieher das tragende Moment der Arbeit.

Gab es durch die Arbeit Auswirkungen auf Sie persönlich?
Ich denke schon, dass der Umgang mit den Jugendlichen - auch wenn der wirtschaftliche Blick im Vordergrund stand – mit dazu beigetragen hat, mich jung zu fühlen. Ich kannte sie alle mit Namen, auch wenn ich nicht jeden Tag mit ihnen Fußball gespielt habe.

Ein gutes Stichwort; Fußball, da war doch was?
Ich habe bereits mit 15 mit dem Fußballspielen angefangen, nun sind es bereits 50 Jahre, die ich aktiv bin, in der Halle bei meinem Verein DJK Blau-Weiß.

Gibt es beim Fußball eine bestimmte Position, auf der Sie am liebsten spielen, letzter Mann etwa, zuständig für die Sicherung des Rückraums oder geben Sie wie im Berufsleben den Allrounder?
Ich spiele auf allen Positionen, wenn es sein muss auch im Tor. Wir haben ohnehin nur kleine Kästen.

Was sagt der aktive Fußballer Hubert Wittl zum sportlichen Niedergang von Hertha BSC?
Traurig, traurig, ich befürchte, dass Hertha nun durchgereicht wird. Dazu der riesige Schuldenberg, von dem herunterzukommen in der zweiten oder dritten Liga schwierig sein wird. Aber es gibt ja immerhin noch „Eisern“ Union in Berlin.

Gibt es außer dem Umgang mit den Jugendlichen und dem Fußball noch etwas, das Sie jung gehalten hat?
Ich beschäftige mich seit vielen Jahren sehr intensiv mit Yoga. Diese Beschäftigung hat mir in schwierigen Situationen außerordentlich geholfen. Ich habe daraufhin eine fünfjährige Lehrerausbildung gemacht und gebe seitdem als Diplom-Yogalehrer WdM (Weg der Mitte), BDY (Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland ) und EYU (Europäische Yoga Union) regelmäßig Kurse - vier sind es jetzt wöchentlich - und Wochenend-Seminare. Nun absolviere ich eine weitere Ausbildung über zweieinhalb Jahre zum Yoga-Therapeuten, das geht stark in den medizinischen Bereich hinein. Es geht mir ganz allgemein gesprochen darum, die Möglichkeit der inneren Stabilisierung an andere Menschen weiterzugeben, auch körperliche Störungen mit Yoga zu heilen.

Bleibt bei solch zeitintensivem Engagement denn noch Zeit für ganz Privates?
Oh ja, durchaus. Seit einem Jahr bin ich Großvater von Luis Jonathan. Meine Tochter lebt mit der Familie in Zuffenhausen, meine Lebenspartnerin in Leonberg. So bin ich viel unterwegs und in Bewegung. Einer fliegt immer…

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Interview: Werner Kerkloh

 

     
 
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